Paper delivered at the Round Table to celebrate the 50th anniversary of the Forschungsarchiv für Antike Plastik of the University of Cologne (CoDArchLab)
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24th October 2014 - Fritz Thyssen Stiftung - Cologne

Die Perspektiven der Skulpturenforschung für die nächsten Jahrzehnte#

Herzlichen Dank für die Einladung, an dieser Table ronde teilzunehmen, die für mich eine große Ehre ist. Ich hatte das Privileg, mehrere Jahre mit dem Forschungsarchiv an dem Katalogprojekt des Museo Gregoriano Profano im Vatikan zusammenzuarbeiten. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Begegnung mit Hansgeorg Oehler zusammen mit Carlo Pietrangeli, um den Fortgang des Projektes zu besprechen - das war, glaube ich, im Jahr 1984. Im Laufe der zahlreichen, darauf folgenden Studien- und Aufnahmekampagnen entstand eine zunehmend engere, von Wertschätzung und Freundschaft geprägte Verbindung zu zahlreichen Kollegen, die heute hier anwesend sind.

Es ist keine kleine Aufgabe, in wenigen Worten eine Bilanz über den Stand und die Perspektiven der Skulpturenforschung zu ziehen. Meine Ausführungen, betreffen deshalb nur einige Punkte als eine Art Zwischenbilanz. Als ich mein Studium der Klassischen Archäologie begann, bildet die Kunstgeschichte der Antike noch den Hauptbestandteil des Lehrpensums, auch wenn andere, stärker materialbasierte Formen archäologischer Forschung sich zu profilieren begannen. In Italien bot das Handbuch von Becatti, an dem sich Generationen von Archäologen heranbildeten, im Wechsel Kapitel zur Skulptur, zur Malerei und zur Architektur, entsprechend der klassischen Unterteilung in die drei großen Künste (arti maggiori). Dabei war durchaus immer ein Primat der Skulptur festzustellen, allen voran der griechischen, denn der römischen Skulptur widmete Becatti ungleich weniger Raum. Heute stellt sich das Bild ganz anders dar: die Spezialisten, die sich mit Skulptur befassen, sind deutlich weniger als vor 30 Jahren, und dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf die Klassische Archäologie. Nach langläufiger Meinung wird die Geschichte der neuzeitlichen Kunst grundsätzlich als eine Geschichte der Malerei verstanden, und sogar in Spezialbereichen der Forschung treffen wir auf Tendenzen die nachdenklich stimmen. Wenn wir zum Beispiel die Studien auf dem Gebiet der Semiotik betrachten, die sich auf künstlerische Phänomene beziehen, so stellen wir fest, daß sich dort bereits eine Semiotik visueller Botschaften herausgebildet hat, mit einem entsprechenden Begriffsapparat, einer lebhaften Fachliteratur und einem internationalen Fachverband, der regelmäßig Fachtagungen organisiert . Alle diese Studien beschäftigen sich jedoch ausschließlich mit zweidimensionalen Bildern. Demgegenüber gibt es kaum Untersuchungen zur Semiotik von Raum, Skulptur oder anderen dreidimensionalen Kunstwerken. Das Spezifikum (im Sinne von: das proprium) der Dreidimensionalität zu bestimmen, scheint demgegenüber ein nur schwer zu erfassendes, theoretisches Problem, das sich der modernen Wahrnehmung entzieht.

Ich denke es ist hier notwendig, von eine weitere Perspektive in den Blick zu nehmen und radikalere Fragen zu stellen. In der Vergangenheit war das Paradigma der Forschung ein philologisches: die "Meisterforschung" rekonstruierte ein verlorenes Vorbild anhand der Repliken-Analyse, so wie die Philologen die Urfassung einer Cicero-Rede anhand der überlieferten Manuskripte rekonstruierten. Mittlerweile ist dieses Modell an seine Grenzen gelangt, und wir probieren andere Wege aus, wie etwa den der Intertextualität. Vielleicht könnte man auch das Paradigma der "Oral Poetry" in Betracht ziehen: in der Skulptur finden wir, ähnlich wie im griechischen Epos, ein überliefertes Erbe von Ausdrucksweisen, Stilen und Entwürfen, das ständig weitergebildet und den jeweiligen Bedürfnissen des Auftraggebers und Betrachters sowie dem Erwartungshorizont des Publikums angepaßt wird. Der herkömmlichen Untersuchung zur Entstehung der Skulptur in geometrischer Zeit, muß die entsprechende Untersuchung zum Ende der Skulptur in der spätantiken und byzantinischen Epoche zur Seite gestellt werden. Anfang und Ende eines Phänomens sind die kritischen Momente, die grundsätzliche Fragen aufwerfen: Warum gibt es überhaupt Skulptur? Warum in dieser Form und nicht ganz anders? Warum eine Statue und nicht ein zweidimensionales Bild? Diese Perspektive verlagert die typologischen und stilistischen Detailanalysen in die zweite Ebene, um sich auf die Funktion von Skulptur zu konzentrieren. Hierfür reicht eine soziologische und ideologische Analyse keineswegs aus. Vielmehr ist hier eine semiotische Herangehensweise nötig, bei der die Skulpturen auch in ihrem architektonischen und urbanistischen Kontext sowie im gesellschaftlichen und städtischen Leben betrachtet werden: auf welche Weise fungiert eine Statue als Bedeutungsträger in Hinblick auf ihren jeweiligen Lebensraum, ihr Publikum oder besser auf die unterschiedlichen Arten von Publikum in den unterschiedlichen Epochen? In dieses Bild ist noch ein weiteres Element hinzuzufügen: die Untersuchung der Farbe. Nach einer langen Zeit des Desinteresses, beobachten wir heute eine neue Aufmerksamkeit für das, was ich als "die vierte Dimension" der Skulptur bezeichne, eine Dimension, die darüber hinaus auch wichtige methodische Auswirkungen hat. Mittlerweile ist klar, daß wir ohne Kenntnis der Bemalung Gefahr laufen, die Bedeutung eines Werkes völlig mißzuverstehen, man denke nur an den Fall der sog. Peploskore. Aber wir haben diese neue Entdeckung bislang noch nicht in allen Konsequenzen weitergeführt. Wenn wir das Vorhandensein von Farbe berücksichtigen, sind wir gezwungen auch den Repliken nach berühmten Originalen einen gewissen Grad der Selbständigkeit zuzubilligen, denn die Farbgebung ließ sich nicht wie die dreidimensionale Form durch Gipsabgüsse vermitteln. Im Fall der Marmorwiederholung eines Bronzeoriginals, gab es gar keine originale Farbgebung, vielmehr mußte der "Kopist" Lösungen für die Bemalung einer Skulptur wählen, und zwar auf Grundlage der Regeln, die in seinem Umfeld und in seiner Epoche gelten, und die nicht unbedingt dieselben sind, nach denen der Künstler einige Jahrhunderte früher sein Werk geschaffen hatte. Darüber hinaus bestimmte die Farbe nicht nur die Bedeutung einer Skulptur, sondern verdeutlichte oftmals auch ihre Funktion: So gab zum Beispiel im Falle einer römischen Porträtstatue erst die Farbe dem Betrachter Auskunft über den status des Geehrten und aktivierte über den Farbkodex der Gewänder die pragmatische Dimension der Kommunikation. Nach diesen theoretischen und eher allgemeinen Ausführungen möchte ich jetzt noch konkreter auf die Aufgaben zu sprechen kommen, die sich dem Forschungsarchiv oder, wie es heute heißt, dem CoDArchLab heute stellen. Die Kollegen des Forschungsarchivs hatten stets eine besondere Sensibilität für die Probleme der Skulptur, was eine ebenso zeitgemäße wie weitsichtige Weiterentwicklung dieser Institution ermöglichte. Beginnen wir mit der Erfordernis der Kontextualisierung: Die Wissenschaftler eines jeden Landes kommen bereits heute nicht mehr ohne die Datenbank "Arachne" aus, die über einen außerordentlichen Reichtum präzise strukturierter Daten verfügt. Darüber hinaus führt uns die neue Initiative, Skulpturen in ihrer spezifischen Dreidimensionalität mittels 3D-Scan zu dokumentieren, um damit die Arachne-Datenbank zusätzlich zu bereichern, in den Bereich der fortschrittlichsten Versuche der letzten Jahre. Mittlerweile reift eine weit verbreitetes Verständnis für diese Notwendigkeit: man denke etwa an die europäischen Projekte wie CARARE , 3D-COFORM und 3D-ICONS, an das Digital Sculpture Project der Indiana Universität. Seit kurzem gibt es auch eine wissenschaftlichen online-Zeitschrift Digital Applications in Archaeology and Cultural Heritage.

Ich will zum Schluß versuchen, einige Vorschläge zur Diskussion zu stellen: Mir scheint der beste Dienst, den das Forschungsarchiv der Skulpturenforschung bieten kann, könnte darin bestehen, die Grundidee der Arachne-Datenbank weiterzuentwickeln. Das bedeutet vor allem, das Bildarchiv mit seinen bibliographischen Angaben mit den Daten zur Sammlungsgeschichte und zu den antiken Monumenten zu verknüpfen, um dadurch die Rekontextualisierung der Denkmäler zu erleichtern. In diesem Zusammenhang sollte die Dokumentation von Farbspuren ebenso einfließen, wie die von 3D-Modellen oder 3D-Aufnahmen. Letztere wäre insofern besonders wertvoll, wenn man sie nicht nur für Rekonstruktionversuche verwenden würde, wie man sie früher mit Gipsabgüssen unternommen hat, sondern wenn wir damit Rekonstruktionen durchführen könnten, in denen die Skulpturen in ihren architektonischen und urbanistischen Zusammenhang integriert erscheinen. Auf diese Weise wäre es z.B. möglich, Statuenzyklen besser zu verstehen, oder Blickachsen und Raumfolgen zu untersuchen, die für ein Bauwerk, ein Monument oder eine Stadt von vitaler Bedeutung waren.

Vielleicht könnten wir in einer zukünftigen Tagung oder einem Seminar das Nachdenken über die Grenzen und die Möglichkeiten von 3D-Modellen unter diesem Gesichtspunkt vertiefen. Diese Aufgabe, die wir keinesfalls nur den technischen Experten und den kommerziellen Initiativen überlassen dürfen, empfinde ich als besonders dringlich.

Imprint Privacy policy « This page (revision-2) was last changed on Sunday, 26. October 2014, 19:04 by Liverani Paolo
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